Anja Dyes liebt Bücher. Darum studierte sie auch in den USA amerikanische Literatur. Weil sie psychisch schwer erkrankte, konnte die 53-Jährige jedoch trotz Masterabschluss keine Karriere machen. Mit Büchern allerdings befasst sie sich nach wie vor: Dyes arbeitet einmal pro Woche in der „Schmökerkiste“ des Fördervereins Wärmestube. „Das ist ein gutes Projekt, das andere Städte nachahmen sollten“, sagte Staatsministerin Emilia Müller, die die „Schmökerkiste“ am Freitag besuchte.
Müller war nach Würzburg gekommen, um sich über die Arbeit der Caritas und des Sozialdienstes katholischer Frauen (SkF) zu informieren. Die in einem Bauwagen eingerichtete „Schmökerkiste“, in der Menschen in prekären Lebenslagen gebrauchte Bücher verkaufen, wurde ihr als soziales Vorzeigeprojekt präsentiert, das es so kaum irgendwo sonst in Bayern gibt. Nur noch in Nürnberg existiert eine ähnliche Initiative.
Menschen, die es im Leben gebeutelt hat, eine sinnvolle Tätigkeit zu geben, die sie in Kontakt mit ganz „normalen“Leuten bringt und dadurch Selbstvertrauen vermittelt, ist Hauptziel des Projekts, das 2013 an den Start ging. Dieses Ziel wurde auch erreicht. Die Verkäuferinnen und Verkäufer kommen durch ihren Job mit Menschen aus allen Schichten in Berührung. Am Freitag begegneten einige von ihnen sogar Staatsministerin Emilia Müller, die sich von Anja Dyes den Wagen voller Bücher zeigen ließ.
Das war ungewöhnlich und aufregend, wobei es das Team der „Schmökerkiste“ eigentlich gewohnt ist, dass sich Prominenz am Bauwagen zeigt. Bischof Friedhelm Hofmann zum Beispiel, der ebenfalls am Besuch von Emilia Müller teilnahm, stöbert öfter in der „Schmökerkiste“: „Gekauft habe ich bisher nur deshalb nichts, weil ich gerade dabei bin, meine Bibliothek zu halbieren.“ Würzburgs Kämmerer Robert Scheller, der Schirmherr der „Schmökerkiste“, erstand unlängst Jacob Burckhardts „Geschichte der Renaissance in Italien“ in der „Schmökerkiste“. Domkapitular Clemens Bieber erwarb vor nicht langer Zeit ein Kochbuch, das er weiterverschenkt habe, wie er sagt.
Dass es die „Schmökerkiste“ gibt, ist dem Sozialministerium zu verdanken. Das finanzierte das Vorläuferprojekt „artGerecht“ zwischen 2009 und 2011 mit jährlich 30000 Euro. „Ohne diese Anschubfinanzierung wären wir nie so weit gekommen“, betonte Lehrieder gegenüber Emilia Müller. Seit 2013 kämpft der Förderverein nun darum, die Initiative, die, je nachdem welche Teilprojekte realisiert werden, zwischen 5000 und 10000 Euro jährlich kostet, langfristig abzusichern. Was Lehrieder zufolge nicht leicht ist: „Finanziell bewegen wir uns immer auf dünnem Eis.“ Dank eines Zuschusses vom Würzburger Sozialreferat ist immerhin die Finanzierung für das laufende Jahr sichergestellt.
Pat Christ